Dirk-Uwe Becker - Wortbruch
Statt eines Vorworts
Wozu Lyrik heute? Die von Hilde Domin 1993 in ihrer gleichnamigen Abhandlung gestellte Frage hat nichts an Aktualität verloren. Medienlandschaft und Internet bieten uns eine unübersehbare Vielfalt
und Vielschichtigkeit an Unterhaltung und Unterweisung auch auf dem Gebiet der Literatur. Und wenn es um eine schon weitgehend antiquierte Form der Rezeption, das Lesen geht: Prosa, insbesondere
Romane sind durchweg unterhaltsamer, spannender, handlungsorientierter und verständlicher als Lyrik. Ein Gedicht ist zumeist handlungsarm, häufig rätselhaft, auf den ersten Blick unverständlich und
der Text ist oft schon zu Ende, bevor er eigentlich begonnen hat.
Wozu also Lyrik, die schwierige Form der Begegnung des Lesers mit sich selbst?
Lyrik erzeugt eine eigene Wirklichkeit. Der Dichter verarbeitet und verdichtet Gedanken, Empfindungen, Bilder, Vorstellungen und bringt das Ergebnis in eine Kunstform. Er fungiert gleichsam als Operateur, der dem aus sich heraus entstehenden Gedicht seine Sprache und das dazugehörige Handwerk zur Verfügung stellt. Und je optimaler die Instrumente von Wortwahl, Rhythmus, Metrik, Melodie und Klang des Werkes dem Bild und der eigenen Imagination des Dichters angepasst sind, desto mehr wird das Gedicht seine Bestimmung erfüllen können: den Leser zu erreichen und in seinem Bewusstsein neu zu entstehen. Was nicht heißt, dass die innere Rückübersetzung durch den Leser in seine eigene Vorstellung in jedem Fall den Intentionen des Dichters entsprechen muss. Wichtig ist, dass das Gedicht seinen Leser erreicht, ihn an- und berührt, sich in ihm entfaltet und eine Kette von Assoziationen und Empfindungen auslöst. Diesen Akt der Gedicht-werdung bezeichnet man auch als den verborgenen Zauber, der einem Gedicht innewohnt.
Gottfried Benn definierte, was ein vollendetes Gedicht ausmacht: „in sich ruhend, aus sich leuchtend, von langer Faszination". Ich möchte hinzufügen: von einem Zauber umgeben, unterwegs, um in einem Leser neu zu entstehen".
Der bildende Künstler und Schriftsteller Dirk-Uwe Becker und die Schriftsteller Manfred Friedrich Kolb und Tasso J. Martens arbeiten im ELKK (Europa-Literatur-Kreis Kapfenberg in Österreich) und in weiteren Autorenvereinigungen wie z. B. „Literaturverein 42er Autoren e.V." und Künstlervereinigungen zusammen.
Im Jahre 2005 gründeten die drei Autoren eine offene Autorengruppe mit dem Namen LEGUAN, die als Akrostichon für
L iteraten
E iner
G ruppe
U nabhängiger
A utoren
N amen
steht.
Die erweiterungsfähige Autorengruppe plant übrigens die Veröffentlichung einer Paperbackreihe mit den Gattungen Prosa und Lyrik, die mit dem Band „wortbruch" ihren Anfang findet. Das Logo dieser Autorengruppe zeigt einen stilisierten Leguan.
Zur Anthologie
Das vollständige Layout, die Gestaltung des Einbandes, die Buchillustrationen und Hinterschnitt-Collagen steuerte Dirk-Uwe Becker bei. Die Gedichte der drei Autoren sind in den letzten Jahren entstanden. Sie sind größtenteils ohne spätere Nachbearbeitung originalgetreu eingestellt worden.
Die Autoren der Gruppe LEGUAN
Über den Autor und Künstler Dirk-Uwe Becker (DUGUS)
Jahrgang 1954; Abitur in Mönchengladbach; seit Abschluss seines Studiums (Diplomingenieur der Nachrichtentechnik) bei der Deutschen Bundespost und deren Nachfolgeunternehmen Deutsche Telekom AG beschäftigt gewesen.
Künstler, Literat und Rezensent. Lebt an der Schleswig-Holsteinischen Westküste, schreibt und veröffentlicht in seiner Freizeit Lyrik und Kurzprosa in Anthologien und Literaturzeitschriften, organisiert Lesungen.
Anmerkungen zu den Gedichten von Dirk -Uwe Becker
"... und als der Mond mit seinem Silberstrahl ihre Blöße erhellte, sah er, dass alle seine Lieder vergeblich waren, seine Worte verloren - nie würde er ihre Schönheit je beschreiben können, noch besingen." (George Dubé, aus "Afrikanische Träume"). George Dubé, ein hierzulande unbekannter afrikanischer Autor, dessen literarisches Werk nur wenige (vorwiegend Bibliophile) kennen, da dieser in seiner Heimat Kongo als oppositioneller Schriftsteller verfolgt und seine Bücher verbrannt wurden, hat sehr bildhaft beschrieben, was mich an Gedichten fasziniert, mich zum Schreiben „treibt": Schönheit und Harmonie in der Sprache finden, der Faszination des Wortes nachspüren, aus Buchstaben, Worten, Sätzen beim Zuhörer, beim Leser ein Bild projizieren, ähnlich der Entstehung einer Skulptur, einer Grafik, bei welcher der Künstler zu Anfang noch nicht weiß, wie das Werk am Ende aussehen wird und was ein Betrachter dabei empfinden, ob es ihm zusagen mag. Dabei steht nicht im Vordergrund, dass Künstler und Betrachter den gleichen Gedankengängen folgen - das wird schwierig sein. Aber ein Kunstwerk, ein Gedicht als Initial einer eigenständigen Assoziation, Auslöser eigenständiger Bild- und Gedankenabfolgen - mehr können weder Autor noch Künstler erwarten, mehr wollen sie auch nicht.
Meine Sprache ist bewusst einfach, auf das Wesentliche reduziert. Ich halte nichts von zu starker Verfremdung oder Überfrachtung mit Allegorien, von dadaistischer Wortschöpfung oder abstrakten Begrifflichkeiten, die den Leser mehr stolpern als erkennen lassen. Das Wort an sich soll wirken. Die Rhythmik des Textes soll den Leser einfangen und mit in den vom Autor initiierten „Tanz der Gedanken" ziehen.
Die in diesem Band von mir vorgestellten Texte sind in der Zeit zwischen 2001 und 2006 entstanden. Manche sind in ihrer „Urfassung" hier abgedruckt, andere haben schon etliche Bearbeitungsstände hinter sich. Ein Werk ist (fast) niemals fertig - es gibt immer etwas zu korrigieren, zu verbessern ... Einsichten, Ansichten, Lebensumstände ändern sich und damit auch die Intention und Sicht auf das Werk, den Text.
Dirk-Uwe Becker
Über den Autor Manfred Kolb
(Roger Saint-Roche)
Jahrgang 1938; Gymnasium in München; Abitur in Hamburg, Studium von Jura, Philosophie und Literatur in Tübingen und Freiburg. Ministerialbeamter in Hamburg. Lebt seit 1995 mit seiner Frau an der
Schleswig-Holsteinischen Westküste. Schreibt und veröffentlicht Lyrik und Kurzprosa in Anthologien und (Print-) Medien. Gedichtbände: „gescherbte zeit" (2002) „gefühlte zeit", (2004).
Mitglied in mehreren Literaturforen, Kunst- und Literatur-Vereinen.
Anmerkung zu den Gedichten von Manfred Kolb
Lyrik ist für mich ein Experimentierfeld, Vorstellungen, Impressionen, Gedankenkonstrukte in Sprachbilder zu verwandeln, sie auf die Reise zu Lesern zu schicken, in deren Köpfen sie erst zum Leben erweckt werden. Ich arbeite mit Elementen der sprachlichen Verdichtung, mit Klang- und Lautmalerei, Dissonanz, Metaphorik, Einblendungs- und Verfremdungstechnik, Distanzierung, Entpersonalisierung, Subjekt-Objekt-Vertauschung, Schwebeperspektive und der Reduktion des sprachlichen zugunsten des bildhaften Ausdrucks durch klangverwandte doch bedeutungsfremde Wortspiele, mit Wortneuschöpfungen und Ansätzen von Sprachformung. Mit Wortneuschöpfung und Sprachformung will ich einen Weg fortsetzen, den schon der Nachkriegslyriker Paul Celan beschritten hat.
Ziel ist die Anpassung der Sprache mit allen denkbaren Ausdrucksmöglichkeiten an Vorstellungen, Impressionen und Bilder anstelle der Unterordnung von Gedanken und Impressionen unter den zur Verfügung stehenden Wortschatz. Mit der Kreierung von Wörtern, Umformung und neuen Sinngebung von Worten will ich frei assoziierbare Interpretationen aus einem schöpferischen Sprachverständnis heraus ermöglichen.
Die für die Anthologie ausgewählten Gedichte sind in der Zeit zwischen November 2004 und März 2006 entstanden. Sie sind in ihrer ursprünglichen Fassung aufgenommen worden, um die jeweilige zeit- und umstandsbezogene Authentizität der Gedichte unangetastet zu lassen.
Einigen Gedichten ist ein öffnender Gedanken vorangestellt. Es soll den Lesern durch einen kurzen Hinweis auf die Entstehung oder den Anlass des Gedichts bzw. den Standort des Dichters und den für das Verstehen bedeutsamen Kontext nahe bringen.
Manfred Kolb
Über den Autor Tasso J. Martens
Jahrgang 1946; Oberrealschule in Garmisch-Parten-kirchen, seit Abschluss seines Studiums (Fachgebiet Versorgungstechnik an der FH München) bis zum heutigen Tage selbständig tätig als Fachingenieur, staatlich anerkannter Sachverständiger, Industrie-berater, Lehrbeauftragter an der FH München, Fachautor, Herausgeber (15 Fachbücher in ca. 30 Jahren), Rezensent und Verlagsberater für Fachliteratur bei namhaften Verlagen. Lebt mit seiner Frau im bayerischen Oberland, schreibt und veröffentlicht in seiner Freizeit Lyrik und Kurzprosa in Anthologien, Literaturzeitschriften. Eigener Gedichtband „Mission Liebe" (2004). Mitglied in mehreren Literaturforen und -vereinen.
Anmerkungen zu den Gedichten von Tasso J. Martens
Bellerophon, hybrid geworden, fliegt wie ein Gott dem Olymp entgegen. Sein Tun trägt die „Hamlet-Züge" eines reflektierenden Haderns mit dem vergänglichen Los des Menschen; von daher ist wahrscheinlich, dass es im Himmelsritt um die Eroberung der Unsterblichkeit ging. In den Augen der Götter die ungeheuerliche Anmaßung eines Sterblichen. (KANT)
So gesehen, haben Lyriker (im Allgemeinen) und Bellerophon aus der griechischen Mythologie eines gemeinsam. Beide überschreiten die Grenze - den Basalt - zwischen dem irdischen Sein, der weltlichen Vergänglichkeit und der göttlichen Unsterblichkeit. Beide versuchen, provokativ die „basale" Trennung von Himmel und Erde, Göttern und Menschen zu überwinden; es ist der sprichwörtliche „Griff nach den Sternen".
Die vorgestellten Gedichte sind alle im Zeitraum von April 2004 bis März 2006 entstanden. Rückblickend war es eine Zeit des ständigen Ringens und Suchens, eine eigene Darstellungsform für das
geschriebene Wort zu finden. Dabei ging es weniger darum, sich von anderen Autoren abheben zu wollen; nein, vielmehr war es das Bestreben, den Text aus der persönlichen Sicht der Dinge, mit den
eigenen Lebenserfahrungen, in Einklang und damit „zum Schwingen" zu bringen.
Meine Gedichte stellen formal „Sprechanweisungen" dar, vergleichbar einer Musikpartitur. Synkopisierende Sprechpausen sind nicht nur sprachliche Zäsuren, die die Versehrtheit des Textes darstellen
sollen, sie sind auch Innehalten im Gedankenfluss, Rückversicherung, Infragestellung, Hinterfragung des Gelesenen und seiner Interpretation. Denn, so wie die Welt nicht vollkommen ist, so können auch
Gedanken und (dürfen) damit Gedichte nicht vollkommen sein, da wir mit unserer menschlichen Vorstellungskraft nicht das Ganze und Vollkommene erfassen.
Tasso J. Martens